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Versorgungsmedizinische Grundsätze

GdB-Tabelle nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)
Schwerbehinderung und Schwerbehindertenausweis



Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 2. Senat
22.08.2025
L 2 SB 8/24
Juris


GdB-Bewertung bei Knorpelschäden am Kniegelenk sowie Wirbelsäulenschäden.


Tatbestand

Der 1963 geborene Kläger begehrt die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50.

Mit Bescheid vom 20. Mai 2019 stellte der Beklagte bei dem Kläger einen GdB von 30 fest. Grundlage war eine depressive Störung, die mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet worden war. Ein Bluthochdruckleiden, bewertet mit einem Einzel-GdB von 10, wirkte sich nicht erhöhend aus.

Am 9. Februar 2022 stellte der Kläger einen Neufeststellungsantrag und reichte zur Begründung diverse Unterlagen zu Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigung in der Lendenwirbelsäule und im rechten Knie ein. Der Beklagte holte Befundberichte des Orthopäden T, des HNO-Arztes B, der allgemeinmedizinischen Praxis N und der Psychotherapeutin H1 und lehnte die Hörstufung des GdB mit Bescheid vom 25. Mai 2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 2022 ab. Intern hatte er die Funktionsstörungen im Kniegelenk mit einem Einzel-GdB von 20, Wirbelsäulenbeschwerden mit einem Einzel-GdB von 10 und eine Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 0 bewertet.

Mit der dagegen am 12. August 2022 erhobenen Klage hat der Kläger zunächst die Gewährung eines GdB von mindestens 40 begehrt und ausgeführt, seines Erachtens müsse die psychische Behinderung mit einem GdB von 40, dass Wirbelsäulenleiden ebenfalls mit einem GdB von 40 und die Einschränkungen im Kniegelenk mit einem GdB von 30 bewertet werden.

Am 14. Oktober 2022 ist dem Kläger im H2 Krankenhaus S eine Totalendoprothese des rechten Kniegelenkes implantiert worden. Im Anschluss an den dortigen stationären Aufenthalt befand er sich in der A Klinik S zur Anschlussheilbehandlung.Entlassungsberichte über diese stationären Aufenthalten sind zu den Akten eingereicht worden. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der hausärztlichen Praxis N vom 19. November 2022, einen Befundbericht des Orthopäden T vom 13. November 2022 sowie einen Befundbericht des Neurochirurgen E vom 11. Januar 2023 eingeholt.

Der Beklagte hat dazu Stellung genommen und ist bei seiner Auffassung verblieben. Ab 14. Dezember 2022 sei die Behinderung im rechten Kniegelenk infolge der Prothesenimplantation anders zu bezeichnen aber weiterhin mit einem GdB von 20 zu bewerten.

Das Sozialgericht hat außerdem noch einen Befundbericht der Psychotherapeutin Z vom 20. Januar 2023 sowie einen Befundbericht des MVZ F eingeholt. Letzteres ist eine psychotherapeutisch-psychiatrische Praxis und hat für die private Krankenversicherung des Klägers eine gutachterliche Stellungnahme am 18. Juli 2022 erstellt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes aus sozialmedizinischer Sicht hat das Sozialgericht ein Gutachten des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin O vom 26. September 2023 eingeholt. Dieser die Beschwerden in der Wirbelsäule ausgehend von mittelgradiger Funktionen Auswirkungen einem Wirbelsäulen Abschnitt mit einem GdB von 20 bewertet. Ebenso die Beeinträchtigung im rechten Kniegelenk. Diese seien sowohl vor als auch nach der Operation mit 20 zu bewerten. Der Mindest-GdB von 20sei nach erfolgter Operation in Hinblick auf die zufriedenstellende Beweglichkeit aber ausreichend. Hinsichtlich der seelischen Störung ergebe sich ein wechselhaftes Beschwerdebild. Insgesamt sei es durchaus gerechtfertigt, den unteren Wert des vorgeschlagenen GdB Rahmens von 30-40 anzusetzen. Insgesamt ergebe sich ein GdB von 40.

Der Beklagte ist nach Übersendung des Gutachtens bei seiner Auffassung verblieben und hat einen GdB von 10 für die Funktionsstörung in der Wirbelsäule für nach wie vor vertretbar erachtet.

Der Kläger hat den vom Sachverständigen vorgeschlagenen GdB für zu gering erachtet und ausgeführt, dass ein GdB von 50 angemessen sei.

Nach Anhörung zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat das Sozialgericht Lübeck den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen verurteilt, bei dem Kläger ab Antragstellung einen GdB von 40 festzustellen und im Übrigen die Klage abgewiesen. In der Begründung ist es sowohl hinsichtlich der Bewertung der Behinderungen mit Einzel-GdB als auch der Gesamt-GdB Bildung dem Sachverständigen gefolgt und hat diese Bewertung anhand der erhobenen Befunde begründet.

Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die am 12. Februar 2024 erhobene Berufung des Klägers.

Zur Begründung führt er aus, die psychisch Erkrankung sei insbesondere im Hinblick auf die Belastung des Klägers im Zusammenhang mit Erwerbstätigkeit im erstinstanzlichen Gutachten nicht hinreichend berücksichtigt worden. Er habe rezidivierend schwere Existenz- und Zukunftsängste, aber wie jeder andere schwerbehinderte Mensch auch gute Tage, an den seine Behinderung nicht so gravierend aufträten. Im Endergebnis sei aber ein GdB von 50 angemessen. Der Zustand des rechten Knies sei wegen der anhaltenden Reizerscheinungen und Bewegungseinschränkungen nach Teil B Nr. 18.14 VmG mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet worden und die einseitige Kniegelenks Totalendoprothese ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 20. Hier wäre betreffend des rechten Knies ein Einzel-GdB von 30, eher 40 angemessen, der jedenfalls bei Bildung des Gesamt-GdB erhöhend zu berücksichtigen wäre. Selbst wenn man nur zu einem GdB des rechten Knies von 20 käme und entsprechend zu einer Erhöhung von 10, müsste der Wirbelsäulenschaden, der einen anderen Körperbereich betreffe und von dem Knieschaden unabhängig sei, aufgrund des Einzel-GdB von 20 ebenfalls den Gesamt-GdB um 10 erhöhen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 24. Januar 2024 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Mai 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 2022 zu verurteilen, dem Kläger einen GdB von 50 zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, bei Bewertung der seelischen Störung komme es nicht auf die Ursache sondern auf das Ausmaß der Beeinträchtigungen an. Berufliche Einschränkungen seien bei der GdB-Bildung nicht zu berücksichtigen. Die Einstufung unter „stärker behindernde Störungen“ mit einem Bewertungsrahmen von 30-40 im unteren Bereich mit einem GdB von 30 lasse sich aus dem Gutachten vom 26. September 2023 gut ableiten. Die Kniegelenksfunktionsstörung sei mit einem GdB von 20 angemessen bewertet worden. Das Beschwerdebild entspreche nicht einem GdB von 40, wie in der Berufungsbegründung ausgeführt. Aus seiner Sicht sei der Gesamt-GdB mit 40 angemessen bewertet worden.

Mit Beschluss vom 25. Juni 2024 hat das Landesozialgericht die Berufung dem Berichterstatter übertragen.

Zur weiteren Aufklärung hat der Senat im Berufungsverfahren einen Befundbericht der hausärztlichen Praxis N vom 7. Juli 2024 sowie einen Befundbericht des Orthopäden T vom 11. Juli 2024 und einen Befundbericht der Psychotherapeutin Z vom 28. Oktober 2024 eingeholt.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 5. März 2025 unkommentiert weiterer Befundberichte zu den Akten gereicht. Dabei handelt es sich unter anderem um eine weitere gutachterliche Stellungnahme des MVZ F vom 1. Juli 2024 und ein weiteres Attest der Psychotherapeutin Z vom 16. Januar 2025.

Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der elektronischen Gerichtsakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter über die Berufung entscheiden, weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 SGG über die Klage entschieden hat und der Senat die Berufung zuvor den Berichterstatter durch Beschluss übertragen hat.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist gemäß § 151 Abs. 1 SGG erhoben worden. Das Erreichen des ursprünglichen Klageziels eines GdB von mindestens 40 durch den angefochtenen Gerichtsbescheid steht der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen, denn der Kläger hatte nach Übersendung des Gutachtens des Sachverständigen O konkludent kundgetan, dass er nunmehr einen höheren GdB als 40 anstrebt und dadurch seine Klage gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG erweitert, ohne dass dies als Klageänderung anzusehen wäre. Ausgehend von der erweiterten Klageforderung ist der Kläger durch den angefochtenen Gerichtsbescheid beschwert.

Die Berufung ist aber nicht begründet, zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, soweit sie über die Zuerkennung eines GdB von 40 hinausgegangen ist. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen erweisen sich nur insoweit als rechtswidrig, als sie einen GdB von weniger als 40 bei dem Kläger feststellen. Nur insoweit ist er durch die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen in seinen Rechten verletzt.

Gemäß §152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 9.Buch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Sozialgesetzbuch -14. Buch- (SGB XIV) zuständigen Behörden – in Schleswig-Holstein das Landesamt für Arbeitsschutz, Soziales und Gesundheit – das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Eine Behinderung liegt nach § 2 Abs. 1 SGB IX vor, wenn Menschen körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinn liegt vor, wenn der Körper und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Der Grad der Behinderung ist nach 10er-Graden abgestuft festzustellen. Gemäß § 153 Abs. 2 SGB IX ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Eine entsprechende Verordnungsermächtigung für das soziale Entschädigungsrecht enthält § 5 Abs.2 SGB XIV (ursprünglich § 30 Abs.17 BVG). Das Bundessministerium für Arbeit und Soziales hat auf Grundlage des damaligen § 30 Abs. 17 BVG mit Wirkung ab 1 Januar 2009 die Versorgungsmedizin–Verordnung (VersMedV) erlassen. Diese enthält in ihrer Anlage zu § 2 die versorgungsmedizinischen Grundsätze (VmG), in denen u.a. die Einzelheiten der GdB-Bemessung, zum Teil der Voraussetzungen der Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen und der Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Behinderungen geregelt sind.

Liegen mehrere Behinderungen vor, so wird der GdB gemäß § 152 Abs.3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Dabei ist nach Teil A Nr. 3 der VmG zu beachten, dass leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigungen führen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderungen zu schließen. Eine Addition oder andere Rechenmethoden sind zur Ermittlung des Gesamt-GdB ungeeignet. Ausgangsbasis für die Bildung des Gesamt-GdB ist nach Teil A Nr. 3 c VmG vielmehr die Funktionsbeeinträchtigung, die für sich genommen den höchsten Einzel-GdB bedingt. Es ist dann zu prüfen, ob und inwieweit weitere Funktionsbeeinträchtigungen den GdB insgesamt erhöhen. Dabei sind verschiedene Fallgruppen zu beachten. So können Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig sein und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere aber auch ganz besonders nachteilig auswirken. Dieses ist vor allem der Fall, wenn Funktionsbeeinträchtigungen an paarigen Gliedmaßen oder Organen vorliegen. Ferner können sich die Auswirkungen von Behinderungen überschneiden. Es gibt auch Fälle, in denen die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung gar nicht verstärkt werden.

Bei Behinderungen, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind, ist im Hinblick auf die nach Teil A Nr. 3 d ee VmG mögliche, in vielen Fällen aber auch nicht anzunehmende erhöhende Wirkung auf den Gesamt-GdB auch zu berücksichtigen, ob es sich um sogenannte „schwache“ oder „starke“ 20er-Werte handelt, also solche die eher zu einem GdB von 10 oder eher zu einem GdB von 30 tendieren.

Nach diesen Maßstäben ist der GdB des Klägers insgesamt mit 40 angemessen bewertet.

Für die seelische Behinderung des Klägers ist ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen.

Nach Teil B Nr. 3.7 der VmG werden Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen wie folgt bewertet: Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen bedingen einen GdB von 0 bis 20. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägte depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) bedingen einen GdB von 30-40. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten bedingen einen GdB von 50 bis 70, soweit schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten bestehen, kommt ein GdB von 80 bis 100 in Betracht.

Das seelische Leiden des Klägers ist in den wiederholten Attestierungen seiner behandelnden Psychotherapeutin Z und vor allem in den gutachterlichen Stellungnahmen des MVZ F gut dokumentiert. Bei ihm liegt eine gefestigte rezidivierende depressive Störung vor, die in unterschiedlicher Intensität besteht und sich wiederholt in mittelgradigen depressiven Episoden manifestiert. Hinsichtlich des Schweregrades der depressiven Episoden folgt das Gericht der gutachterlichen Einschätzung des MVZ F und nicht der Diagnosewiedergabe in den Attesten von Frau Z. Insgesamt kann von einer stärker behindernden Störung ausgegangen werden, die therapeutischer Intervention aber zugänglich ist. So ist berichtet worden, dass die wiederholt in Anspruch genommene Psychotherapie Erfolge gezeitigt hat, und der Kläger über einen längeren Zeitraum in der Lage war ohne Therapie seinen Alltag zu gestalten. Aktuell ist der Kläger aber durch den Verlust seines Arbeitsplatzes im Frühjahr 2024 und den misslungenen Versuch der Fortführung seiner Erwerbstätigkeit einen anderen Arbeitsplatz wieder stärker belastet. Ein sozialer Rückzug wird beschrieben, der Kläger ist andererseits in der Lage, über einen langen Zeitraum eine stabile Partnerbeziehung zu führen. Die psychische Beeinträchtigung des Klägers unter Berücksichtigung krankheitsüblicher Schwankungen mit einem GdB von 30 zu bewerten, erscheint danach nicht zu beanstanden.

Bei dem Kläger liegen darüber hinaus Beeinträchtigungen im rechten Kniegelenk vor, die durchgängig mit einem GdB von 20 zu bewerten sind.

Gemäß Teil B Nr. 18.14 VmG sind ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke einseitig ohne Bewegungseinschränkungen mit einem GdB von 10-30 und mit Bewegungseinschränkungen mit einem GdB von 20-40 zu bemessen. Ausgeprägte Knorpelschäden liegen etwa bei Chondromalacia Patellae Stadium II-IV vor. Nach Implantation einer Totalendoprothese des Kniegelenks ist der GdB gemäß Teil B Nr. 18.12 VmG mit mindestens 20 zu bemessen. Der Mindest-GdB beansprucht Geltung bei bestmöglichem Behandlungsergebnis. Bei eingeschränkter Versorgungsqualität sind höhere Werte angemessen. Die Versorgungsqualität kann insbesondere beeinträchtigt sein durch Beweglichkeits- und Belastungseinschränkung, Nervenschädigung, deutliche Muskelminderung oder ausgeprägte Narbenbildung. Die angegebenen Werte schließen die bei der jeweiligen Versorgungsart üblicherweise gebotenen Beschränkungen aber ein.

Der behandelnde Orthopäde hat vor der Prothesenimplantation eine Gonarthrose im rechten Kniegelenk Stadium IV mit Bewegungs- und Belastungsschmerzen und einem leichten Streckdefizit beschrieben. Es erscheint gerechtfertigt, diese Behinderung seinerzeit mit einem GdB von 20, damals mit einer Tendenz zu einem GdB von 30 zu bewerten. Eine Änderung ist allerdings durch die im Oktober 2022 erfolgte Prothesenimplantation eingetreten. Der behandelnde Orthopäde T beschreibt den Erfolg der Therapie positiv - zuletzt in seinem Befundbericht gegenüber dem erkennenden Senat vom Juli 2024-. Über Bewegungs- und Belastungsschmerzen wird nicht mehr berichtet, auch eine GdB- relevante Bewegungseinschränkung liegt nicht vor, der behandelnde Orthopäde bescheinigt vielmehr lediglich eine endgradige Funktionseinschränkung, die als „prothesenüblich“ im Sinne von Teil B Nr. 18.12 VmG einzuschätzen ist. Insoweit ist noch mal eine Verbesserung gegenüber dem anlässlich der Untersuchung durch den Sachverständigen O erhobenen Befund eingetreten. Seinerzeit hatte der Sachverständige von zufriedenstellender Beweglichkeit gesprochen aber noch einen deutlichen Reizerguss und eine Kapselschwellung feststellen können. Die Bewertung des Kniegelenksleidens mit dem Mindest-GdB von 20 gemäß Teil B Nr. 18.12 VmG erscheint sicher ausreichend. Anzumerken ist, dass es sich nunmehr um einen eher „schwachen“ 20er-Wert handelt.

Ferner liegen bei dem Kläger Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule, vornehmlich der Lendenwirbelsäule vor.

Nach Teil B Nr.18.9 VmG sind Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mit einem GdB von 0 zu bewerten. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene oder kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 10 zu bewerten. Für mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 20 zu bewerten. Bei schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltenden Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 30 zu bewerten. Liegen mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, so kommt ein GdB von 30 bis 40 in Betracht. Besonders schwere Auswirkungen und Wirbelsäulenschäden (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst oder schwere Skoliosen mit einem Grad von ca. 70 nach Cobb) sind mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit kommt ein GdB von 80 bis 100 in Betracht.

Bei dem Kläger sind Funktionsstörungen der Wirbelsäule vor allen Dingen im Bereich der Lendenwirbelsäule aktenkundig. Anlässlich der Untersuchung durch den Sachverständigen O sind in der Lendenwirbelsäule zwar nur leichte Bewegungseinschränkungen feststellbar gewesen, nachvollziehbar hat der Sachverständige aber begründet, dass ein Einzel GdB von 20 wegen der deutlichen Fehlstellung der Brustwirbelsäule und einer Bedrängung der austretenden Nervenwurzeln bei Belastung angemessen erscheint. Der Befundbericht des Orthopäden T aus dem Berufungsverfahren bestätigt dieses Bild und deutet eine leichte Verschlechterung an. Neurologische Ausfallerscheinungen werden verneint, eine radiküläre Reizung im entsprechenden Segment jedoch bejaht. Der behandelnde Orthopäde beschreibt auch Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule um jeweils 2/3, ohne jedoch die Funktionsausmaße genau anzugeben. Die Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule hat er als mittelgradig bis teilweise schwer eingeschätzt. Diese Befunde lassen es gerechtfertigt erscheinen, den Einzel-GdB des Wirbelsäulenleidens mit 20- 30 entsprechend mittelgradig bis schwerer funktionaler Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt einzuschätzen. Die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20 ist zur Überzeugung des Senats zwar weiterhin sachgerecht, dieser hat allerdings eine starke Tendenz zu 30.

Weitere Behinderung, die mindestens einen GdB von 20 bedingen, sind bei dem Kläger nicht ersichtlich.

Nach den oben mitgeteilten Grundsätzen der Gesamt-GdB Bildung ergibt sich ein GdB von 40. Im Hinblick auf Äußerungen des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, die Regelung in Teil A Nr. 3 d) ee) VmG sei dahingehend zu interpretieren, dass GdB von 20 in der Regel Auswirkungen auf den Gesamt-GdB hätten und dies nur in Ausnahmefällen nicht der Fall sei, ist klarzustellen, dass sich ein solches Regel-Ausnahmeverhältnis zur Überzeugung des Senats aus der Terminologie der VmG („vielfach“) ebenso wenig herleiten lässt, wie die bisweilen vertretene gegenteilige Auffassung, wonach GdB von 20 nur in Ausnahmefällen Auswirkungen auf den Gesamt-GdB haben sollen. Vielmehr ist in jedem Einzelfall anhand der Beziehung der Behinderungen zueinander und der Schwere der mit 20 bewerteten Behinderungen zu prüfen, ob durch einen GdB von 20 eine Erhöhung des Gesamt-GdB erfolgt oder nicht.

Vorliegend wird die Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB, hier das psychische Leiden mit einem GdB von 30, durch die hinzutretende Behinderung der Wirbelsäule, die mittlerweile mit einem „starken“ 20er mit einer Tendenz zu 30 zu bewerten ist um 10 auf 40 erhöht. Bedingt durch das gute Ergebnis der Prothesenimplantation vermag der weitere GdB von 20 für das Kniegelenksleiden sich aber nicht mehr erhöhend auf den Gesamt-GdB auszuwirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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